Vorwort zum Buch

Wien im Juni 2002, kurz nach der vermeintlichen Aufhebung des Schwulenparagraphen durch den Verfassungsgerichtshof. Ernst, ein Privatmann, hakt sich beim Thema männlicher Homosexualität ein, erst noch örtlich ausgehend von Österreich und der dort bis dato gesetzlich gedeckten staatlichen Verfolgung von Schwulen. Von seiner Residenz über der Stadt hält er eine eindringliche Mahnung. Er bemüht den Beweis, dass die Wortbilder Gott, Gotteslästerung, Wahrheit und Tradition, Sitte und Brauch, sowie Moral und Anstand und damit auch Recht und Ordnung beliebig konstruiert werden können.

Der ernste Ernst macht aber auch eine sehr persönliche Entwicklung durch, die in einer zutiefst menschlichen Einsicht aufgeht. Begleitet wird er von Albert, einem weiteren Menschen. Unterhaltsame Auftritte bereitet dazu der "Paragraphengeist", der herumspukt. Die vierte Figur, Frau Berger, tritt nicht auf. Allzumenschliches bescheren Parlamentsabgeordnete, Regierung und Bundeskanzler, Strafgerichte und Verfassungsgerichtshof, sowie Bundespräsident und Kirchen, jedoch ohne szenische Präsenz. Ebenso abwesend bzw. gänzlich uninteressiert zeigt sich die Mehrheit der Österreicher.

Aachen. Ein Stück Geschichte in seiner ursprünglichen Bühnenfassung wurde im Juni 2002 geschrieben, im Juli 2003 schien eine (populär-)wissenschaftliche Untermauerung ratsam, was den Text verfünffachte. Dadurch liegt nun einerseits das Buch Aachen. Ein Stück Geschichte vor, zum anderen aber nach wie vor das Bühnenstück, welches sich durch Streichung der religionsphilosophischen Grundierung (Monologe des Ernst) und weiterer historischer und aktueller Dokumentationen einfach gewinnen lässt. Je nach Aufführungsort und Schwerpunktsetzung kann für die Bühne aus dem Buch eine österreichische, eine bundesdeutsche und eine amerikanische Fassung herausgestrichen werden. Der Titel der amerikanischen Übersetzung lautet U. S. Private Jesus, was bedeuten kann „Amerikanischer Privatjesus“, aber auch amerikanischer „Rekrut“ oder „Soldat“ Jesus (im Kampf gegen Gott und den Rest der Welt – versus God & The Rest of the World).

Die Spielfassung der Uraufführung von Aachen. Ein Stück Geschichte am 24. April 2004 in der Regie und Dramaturgie von Artur Ortens ist aus dem Buch farblich hervorgehoben. Kleinere Abweichungen und Zufügungen im Spieltext sind in eckige Klammern gesetzt, vom Buch abweichende Einsätze der Darsteller sind mit „E“ (für Ernst), „A“ (für Albert) und „P“ (für Paragraphengeist) seitlich gekennzeichnet. Dem Text vorangestellt sind Lebensläufe der Beteiligten und Probenbilder, ganz am Ende findet sich der „Wegweiser“ (Inhalts- und Schlagwortverzeichnis). Die Orthographie folgt dem Ohr.

Aachen. Ein Stück Geschichte ist keine Forderung dass man zu Schwulen nett sein soll, oder dass Schwule „heiraten“ und Kinder erziehen „dürfen“, kein Pärchengejammere, sondern ein Grundsatzmanifest, dass es nämlich einer Mehrheitsgesellschaft nicht erlaubt sein kann eine Minderheit, die zwar brav Steuern zahlt, zum Militär geht und niemanden vergewaltigt, entführt oder sonst missbraucht für einvernehmliche intime Handlungen in die Anstalt oder Haft zu werfen, alle Ansprüche zu nehmen, schlichtweg zu ruinieren, und diese Mehrheitsgesellschaft dies nicht einmal zur Kenntnis nehmen will. Der Mehrheit der Österreicher ist es nicht bewusst, dass bis zumindest Sommer 2002 in Österreich Männer ausschliesslich aufgrund ihrer Homosexualität inhaftiert und in die Anstalt gesteckt wurden, und zuletzt ein solch Internierter von Amnesty International als Gewissensgefangener adoptiert wurde, wie dies Amnesty sonst nur in den schlimmsten Diktaturen macht.

Gab es bis 1971 noch das „Totalverbot“ jeglicher homosexuellen Betätigung, waren die letzten Jahrzehnte für homosexuelle Männer „nur“ mehr unter dem Titel eines „Vereinsverbotes“, eines „Werbeverbotes“, eines „Verbotes der Gutheissung gleichgeschlechtlicher Unzucht“ und des „Jugendschutzes“ vergällt. Die von Parlament, Regierung und Höchstgerichten herangezogene Begründung war die berühmte „Prägungstheorie“. Demnach gab und gibt es keine jugendlichen Homosexuellen, sondern werden junge Menschen zur unerwünschten (wohlgemerkt: nur männlichen) Homosexualität „verführt“, weswegen deren Strafbarkeit mit bis zu fünf Jahren Haft eisern aufrecht erhalten wurde, so lange, bis die Internationale Gemeinschaft Österreich im Jahre 2002 endlich dermaßen unter Druck gesetzt hatte (Aufforderungen der Vereinten Nationen, des Europäischen Parlaments und des Europarates, Verfahren beim Gerichtshof für die Menschenrechte), dass es die gesetzlich gedeckte Schwulenjagd beenden musste. Österreich ist damit das letzte Land der Europäischen Union das – zumindest vom Papier her – aufgehört hat Menschen zu vernichten. Die Folgen waren und sind: Haupttodesursache homosexueller Jugendlicher ist Selbstmord.

Auch noch die letzten Jahre (bis knapp vor die Jahrtausendwende) haben der Bundespräsident bzw. der Justizminister den in Österreich eingesperrten Männern sogar die Aufnahme in die Weihnachtsamnestie verwehrt, mit der Begründung dass Homosexuelle schließlich im Sexualstrafrecht angesiedelt wären und für Sexverbrecher keine Gnade vorgesehen ist. Die – teils argumentativ beschämenden und höhnischen – Urteile der österreichischen Höchstgerichte lagen voll und ganz auf dieser Linie, bis das Oberlandesgericht Innsbruck 2001 das Ende der Schwulenjagd einläutete. Jedoch bis heute und auch für die Zukunft gelten die rechtlichen Wirkungen (Vorstrafeneintragungen, Anspruchs- und Berechtigungsverluste etc.) der gegen Homosexuelle ergangenen Strafurteile aus der NS- Zeit, aus der darauffolgenden Zeit des fortgesetzten Totalverbots, sowie nach den weiter oben aufgezählten Disziplinierungs- und Umerziehungsmassnahmen samt dem „besonderen Jugendschutz“ (§ 209 StGB), weswegen es höchste Zeit ist für ein Wiedergutmachungsgesetz, nachdem tatsächliche Wiedergutmachung ja nicht mehr möglich ist, den Menschen die erlittene Haft und Anstalt, verlorene Jahre bzw. das durch Mord/Selbstmord genommene Leben nicht mehr wiedergegeben werden kann.

Zur Uraufführung, Drucklegung der Buch- und Bühnenfassung, sowie zur Filmproduktion habe ich mich kurzfristig im Februar 2004 entschlossen. Auch das Wiener Burgtheater hatte das Stück abgelehnt, mit der Begründung dass „eine Aneinanderreihung von tagespolitischen Granteleien noch keinen Theatertext ausmacht“, und damit die herrschende öffentliche Meinung auf den Punkt gebracht: Dass nämlich ein Thematisieren des Schwuleneinsperrens ganz allgemein als „tagespolitische Grantelei“ oder als „schrilles Aktivistentum“ verstanden wird. So war es auch der Bundeskanzler, der bei der Frage nach der Enthaftung unschuldiger Bürger noch im dritten Jahrtausend post Christum nicht den Menschenrechtsverfassungen – auf die er einen Amtseid abgelegt hatte – folgte, sondern sich belästigt fühlte und grantig wurde wenn man ihn darauf ansprach dass in Österreich Männer in den Anstalten vermodern. Auch die Urteile des Gerichthofes für die Menschenrechte, wonach die Republik Österreich hier „schwere Verstöße gegen die Menschenrechte“ verbrochen hat liessen keine Zeile des Bedauerns, oder gar allgemeine Entrüstung aufkommen.

Aber auch seit der vermeintlichen Aufhebung des Schwulenparagraphen im Sommer 2002 fehlt es nicht an aktuellen Tendenzen zur fortgesetzten staatlichen Diskriminierung Homosexueller. Im derzeit anstehenden Wahlkampf um das höchste Amt im Staat meinte eine Kandidatin „nicht überall einen Kommentar abgeben zu müssen“, konnte sich aber schließlich abringen als Amtsträgerin hier „den katholischen Standpunkt“ vertreten zu wollen, zuvor hoffte der Bürgermeister einer „Stadt der Menschenrechte“ und „Kulturhauptstadt Europas“ in seiner Funktion als Gemeindeoberhaupt „dass der Glaube vielleicht für diese Menschen dazu führen könnte, dass sie mit dieser Art des Zusammenlebens aufhören“, verkünden Prediger weltweit den bösen Schwulen die Hölle, hat Rom – urbe et orbe – an alle katholischen Mandatare die Generalorder ausgegeben in nationalen Parlamenten als Stimmführer des Vatikan „gegen die menschenverachtende Schwulenideologie“ zu fungieren, will der amerikanische Präsident die – irdische – Verfassung expressis verbis zulasten Homosexueller ändern, und letztlich und schlimmstens sind bis heute in einer Reihe von Staaten noch drakonische Strafen bis hin zum Tod gegen Schwule vorgesehen.

Ganz persönlich muss ich anmerken dass die Schwulenprozesse in Österreich mir auch in meinem juristischen Berufsleben nicht erspart blieben und sehr erniedrigend abliefen, wie da alle zugeschaut haben beim fröhlichen Abhören, Post- und Tagebuchschnüffeln, Intimbefragen- und untersuchen, Handschellenanlegen und Aburteilen, Einsperren und Einweisen, Enterben, Rauswerfen, Pfänden und Existenzvernichten betreffend Schwule, die aber keinerlei Gewalt oder Missbräuche verübt hatten.

Inwieweit nun Homosexualität „normal“, „gut“ oder „richtig“ ist oder sein soll, kann und will ich nicht beurteilen. Ich kann aber beurteilen, dass es nicht gut und richtig ist einzelne Menschen in ihrem Intimleben staatlich zu verfolgen oder auch nur zu bevormunden. Wenn auf den Fussballplätzen, in den Wirtshäusern, an den Mittagstischen der Familien, den Arbeitsstätten, in den Klassenzimmern und anderen Wachstuben homo-, bi- oder transsexuell fühlende Wesen häufig unerwünscht sind und mit unfreundlichen Worten bedacht werden (zB „Warmer“, „Ghazter“, „schwule Sau“, „Schwanzlutscher“, Verfassen von Spottgedichten, Absingen von Schmähliedern), oder auch härter behandelt werden (zB Verlust von beruflicher und sozialer Stellung, Anspucken, Ohrfeigen, Faustschläge, Fusstritte, Erpressungsversuche, schwerere Gewalttaten bis zur Ermordung, Psychoterror bis zum Suizid), worunter insbesondere junge Menschen massiv leiden, dann ist das die eine Sache, wenn sie aber immer noch vom Staat, in dem auch sie einen wertvollen Beitrag leisten, von gesetzeswegen um ihre bürgerlichen Rechte verkürzt und betrogen werden, ist das eine andere Sache.

Sohin präsentiere ich das Projekt Aachen. Ein Stück Geschichte dem Publikum und bitte um ein gerechtes Urteil.

Wien, 12. März 2004    

 

 

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